Frank Nonnenmacher liest aus seinem Buch und diskutiert mit SchülerInnen der Q2 am Dienstag, den 19.2.2019 in der Aula der GBS
Professor Nonnenmacher stellte den SchülerInnen zunächst die Geschichte seines Vaters Gustav vor. Parallel dazu beschreibt er in seinem Buch „Du hattest es besser als ich“ die Biographie seines Onkels Ernst Nonnenmacher. Das Schicksal der beiden Brüder, die sich erst als Erwachsene sehr spät kennenlernten, nachdem sie als Kinder in unterschiedlichen sozialen Milieus aufwuchsen, ist zugleich die Geschichte zweier Zeitzeugen des Nationalsozialismus, die damals keine dezidiert politische Haltung zu der Entwicklung in Deutschland zeigten und trotzdem von ihr mitgerissen wurden. „Inwieweit sind die beiden Opfer, inwieweit sind sie Täter?“ Diese Frage solle jede(r) der SchülerInnen der Q2, selbst zu beantworten suchen, so Frank Nonnenmacher.
Der Autor und Sohn von Gustav Nonnenmacher deutet als Grund für die apolitische Haltung das Aufwachsen seines Vaters in einem pietistisch geprägten Heim an. Der Vater hätte als Bester seiner Grundschulklasse eigentlich ein Stipendium für das Gymnasium erhalten sollen, um anschließend ein Theologiestudium zu absolvieren, was bittererweise an der Inflation scheiterte. Seine weitgehend unreflektierte Haltung gegenüber dem NS-Regime, dem er während des Krieges als hoch dekoriertes Mitglied der Luftwaffe „diente“, wurde in dieser Zeit von ihm nur an wenigen Punkten aufgebrochen und hinterfragt.
Interessant war auch die Gegenüberstellung mit seinem Bruder Ernst, der als Jugendlicher und junger Erwachsener unter schwierigen finanziellen Verhältnissen aufwuchs, mehrfach straffällig wurde, meistens da er kleine Diebstähle beging, um zu überleben, und der schließlich für mehreres Jahre im KZ Flossenbürg, später im KZ Sachsenhausen interniert war, und dort unter härtesten Bedingungen Zwangsarbeit verrichtete. Seine latent abwehrende und anarchistische Haltung gegenüber jedwedem ‚Staat‘ – egal, ob Kaiserreich, Weimarer Republik oder Nationalsozialismus – erscheint nachvollziehbar. Anders als die politischen Häftlinge im KZ, die nach der Kapitulation Deutschlands 1945 relativ schnell rehabilitiert und entschädigt wurden, gehört er bis heute zu den „vergessenen Opfern des NS“, wie sie Frank Nonnenmacher in einer Petition an den dt. Bundestag nennt.
Mit den SchülerInnen diskutierte er über die Frage, warum eine Wiedergutmachung für diese Opfergruppe so lange Zeit kein Thema war. Selbst 70 Jahre nach der Gründung der BRD erkennt der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien zwar an, dass zumindest eine symbolische Anerkennung dieser Opfer wichtig wäre, „da niemand zu Recht in einem KZ gesessen habe“, wie Elisabeth Motschmann von der CDU/CSU-Fraktion formuliert. Sie führt weiterhin in einem Interview aus: „Das, was in den KZs gelaufen ist, ist so unvorstellbar, dass wir das nicht gutheißen können“, – gemeint ist „Vernichtung durch Arbeit“. Trotzdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Politiker würden die Petition zwar verbal befürworten, aber kaum Taten folgen lassen. „Eine Verschleppungstaktik“, mutmaßte Professor Nonnenmacher. Um Entschädigungszahlungen könne es dabei sicher nicht mehr gehen, denn von den Opfern lebe kaum noch jemand.
Die Diskussion endete mit mehreren Wortmeldungen der SchülerInnen zur Haltung einzelner politischer Fraktionen und verschiedener Meinungen zu Strategien der Umsetzung der Petition. Dabei gingen die Ansichten weit auseinander – ein gutes Beispiel für eine konstruktive Auseinandersetzung, die Politik, Ethik und Geschichte umfasst.
Petition abrufbar unter: www.change.org/vergessene-opfer oder http://chn.ge/2EAW95C
Gelesen wurde aus folgendem Werk:
Frank Nonnenmacher. Du hattest es besser als ich. Zwei Brüder im 20. Jahrhundert. Südost Verlags Service 2015