Aus dieser insgesamt sehr positiven Entwicklung haben wir inzwischen Konsequenzen gezogen und uns nach längeren Diskussionen in der Gruppe im Jahr 2012 einem neuen Projekt zugewandt: Der Unterstützung von Straßenkindern in der äthiopischen Stadt Jimma, das unmittelbar von „kinder unserer welt“ betreut und regelmäßig visitiert wird.
Jimma
Jimma ist ein ca. 350 km südwestlich von Addis Abeba gelegenes, aufstrebendes regionales Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum mit ca. 150.000 Einwohnern. Hier liegt das Zentrum des Kaffeehandels für den Südwesten Äthiopiens. Die Stadt zieht vor allem durch ihren großen Markt Tagelöhner an, die in Slums leben. Viele Kinder und Jugendliche aus dieser verarmten Bevölkerungsgruppe müssen zum Beispiel als Lastenträger, Schuhputzer oder Los- bzw. Snack-Verkäufer ihren Lebensunterhalt sichern oder zum Einkommen der Familie beitragen. Damit werden sie zu „Straßenkindern“, die vor allem am Markt oder dem Busbahnhof allgegenwärtig sind. Nach Angaben der Behörden soll es in Jimma rund 3.500 Straßenkinder geben. Sie sind oft obdachlos, gehen nicht mehr zur Schule und verfügen weder über ausreichend Nahrung noch Kleidung.
Die Straßenkinder von Jimma
Generell kann man sagen, dass das Hauptproblem dieser Kinder im Fehlen jeglicher physischer, psychischer, juristischer und materieller Sicherheit besteht.
Man unterscheidet zwischen denjenigen, die tagsüber sich selbst überlassen sind und mit ihrer Arbeit sich selbst versorgen und auch die noch vorhandene Familie unterstützen, und meist nachts zu dieser zum Schlafen zurückkehren. Das sind etwa 90 % der Straßenkinder, die sogenannten on-street-children. Die übrigen etwa 10 %, die of-street-children, haben bestenfalls noch einen losen Kontakt zur eigentlichen Familie, sie organisieren sich in Gruppen, die als Ersatzfamilien fungieren und müssen alleine für sich sorgen. Für sie ist auch nachts die Straße zum „Zuhause“ geworden, einem Zuhause, das aber für alle Straßenkinder mehr oder weniger geprägt ist durch Angst, Gewalt – nicht nur für Mädchen oft auch durch sexuelle Gewalt -, Kriminalität und ständiger Sorge ums Überleben. Furcht, Hunger und Einsamkeit verführen zum Konsum von Alkohol, Khat, Tabak oder zum Klebstoffschnüffeln. In diesem Umfeld bilden sich schnell mafiöse Strukturen mit Unterordnung in Banden und typischen kriminellen Handlungen wie Schutzgelderpressung, Diebstahl und Prostitution, was wiederum als Rechtfertigung für Ausbrüche von Gewalt gegenüber den Kindern und der Polizei als Legitimation zu deren Vertreibung aus dem Stadtbild dient. Von personell wie materiell überforderten Behörden werden die Kinder nach Razzien inhaftiert oder unter Zwang auf LKW aus der Stadt transportiert. An wirklicher Hilfe durch kommunale oder staatliche Institutionen fehlt es völlig.
Straßenkinder arbeiten hart in der Schattenwirtschaft mit Tätigkeiten, die geringen Kapitaleinsatz und Kenntnisse erfordern; entsprechend gering ist ihr Einkommen und viele müssen – wie auch die kleineren Kinder ohne jegliche Arbeitsmöglichkeiten – zusätzlich betteln, um überleben zu können. Jungs arbeiten als Schuhputzer, Lastenträger, Parking Boys, Ticketverkäufer in Sammeltaxis, Müllsammler, Scheibenputzer, Lotterielos-, Zeitungs- oder Kleinkramverkäufer; Mädchen verkaufen selbstgemachtes Brot, Snacks und Getränken an Busstationen, arbeiten als Zimmer-, Küchen- oder Dienstmädchen, als Serviererin oder Prostituierte. Trotz der Arbeit leben sie oft nur von Essensresten aus Hotels oder Mundraub. Viele sind mangelernährt und krank.
Ziel des Projekts ist es, diesen Kindern zu helfen, das Straßenleben zu beenden. Kinder unter 14 Jahre sollen wieder in die Familie oder in eine Pflegefamilie (re)integriert werden. Jugendliche (14 bis 18 Jahre) werden durch eine materielle Starthilfe auf ihrem Weg in die wirtschaftliche Unabhängigkeit unterstützt und sollen entweder in die Familie zurückkehren oder unter dem Schutz der „community“ auf eigenen Beinen stehen. Erreicht werden soll dies durch eine 3 bis 6 monatige psychosoziale Rehabilitation mit Zuwendung, Freizeitangeboten, Schulunterricht, einfacher beruflicher Ausbildung und individueller Nachbetreuung.
Um diese Ziele angesichts der beschränkten Kapazitäten und materiellen Möglichkeiten erreichen zu können, bedarf es im Vorfeld einer Auswahl der Straßenkinder, die für das Projekt in Frage kommen. Diese Auswahl wird im Wesentlichen von Streetworkern geleistet, die bei Freizeitbeschäftigungen oder auch unmittelbar auf der Straße in Kontakt mit den Kindern treten und allmählich Vertrauen zu ihnen aufbauen. Eine Chance wird denen geboten, die die vorgegebenen Regeln zu akzeptieren bereit sind und sich noch nicht völlig mit dem Leben auf der Straße abgefunden haben. Es besteht deshalb nur dann eine realistische Perspektive, wenn die Kinder noch nicht länger als ein Jahr auf der Straße gelebt haben und nicht drogenabhängig sind, sei es von Alkohol, Khat oder anderen Stoffen. Priorität haben Mädchen und kleinere Kinder sowie Kinder, deren Familien in Jimma oder der engen Umgebung leben, da die Nachbetreuung sonst nicht sichergestellt ist.
Die Kinder unter 14 Jahren werden entweder in ausgewählten Pflegefamilien oder in Group Homes unter der Aufsicht von Sozialarbeitern in einem Zeitraum von etwa einem halben Jahr wieder an das strukturierte Leben in einer Familie herangeführt.
Den über 14jährigen wird in einer dreimonatigen Ausbildung die Möglichkeit gegeben, für sich und die Familie ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Angeboten werden für die Mädchen Kurse in Kochen, Nähen, Sticken oder als Friseuse, für die Jungs Holz-, Metall-, Lederverarbeitungskurs oder Ausbildungen zum Weber, Gemischtwarenhändler und Friseur. Wo möglich, soll eine öffentliche Schule besucht werden, für die anderen findet Schulunterricht durch ehrenamtlich tätige Lehrer statt. Sehr wichtig sind aber auch Freizeiteinrichtungen, die nicht nur der Entspannung zwischendurch dienen, sondern auch soziales Lernen ermöglichen sollen.
In den letzten Jahren ist es im Rahmen des Projekts gelungen viele Hundert Kinder zu reintegrieren, nur sehr selten sind Kinder, die über das Projekt die notwendige materielle Basis, die psychische Stärke wie auch die soziale Kompetenz erhielten, wieder rückfällig geworden.