Folgende E-Mail zum Thema Smartphones habe ich zum zweiten Mal vor den Sommerferien an die Eltern unserer kommenden Fünftklässler verschickt. Ein Mobiltelefon kann nur zum „Smartphone“ werden, wenn es von einem smarten Nutzer bedient wird – Fünftklässler sind nach meinen Erfahrungen mit zahlreichen Schulen in ganz Hessen dazu noch nicht qualifiziert. In der Unterstufe erzeugen diese High-End-PCs im Hosentaschenformat zunehmend Stress unter den Kindern (insbesondere durch die unbedarfte Nutzung von WhatsApp) und bieten auf der anderen Seiten so gut wie keinen Nutzen – mit Mama und Papa kommunizieren kann man auch auf einem Tastenhandy ohne Internetverbindung.
In unserer aktuellen Jahrgangsstufe 5 besitzen 20 % der Kinder gar kein Handy, 24 % ein Tastenhandy, 56 % ein Smartphone, davon 26 % mit Internetflatrate. Das sind immer noch deutlich zu viele Kinder mit Vollzugriff auf die digitale Erwachsenenwelt, verglichen mit anderen Schulen ist das allerdings eine, im positiven Sinn, deutlich unterdurchschnittliche Handyausstattung.
Andere Schulen dürfen diesen Text unter Angabe der Quelle gerne verwenden.
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Liebe Eltern der neuen Fünftklässler,
ich freue mich, dass Sie sich für die Gutenbergschule entschieden haben und wünsche Ihnen und Ihren Kindern viel Spaß und Erfolg in den kommenden Jahren an unserer Schule. Als Beauftragter der GBS für Medienerziehung und Jugendmedienschutz möchte ich Sie dabei mit Ratschlägen zur Medienerziehung, und insbesondere zur Nutzung von Handys und Smartphones, nach Kräften unterstützen und Ihnen bereits an dieser Stelle einige wichtige Empfehlungen mitgeben:
Sicherlich beabsichtigen etliche von Ihnen, ihren Kindern zum Übergang auf die weiterführende Schule ein Handy oder gar ein Smartphone zu schenken. Gegen ein einfaches Handy, mit dem man telefonieren und SMS schicken kann, ist in dieser Altersgruppe nichts einzuwenden, obwohl es von Seiten der Schule aus keinen Grund gibt, warum Ihre Kinder überhaupt ein Telefon in die Schule mitbringen sollten, denn im Sekretariat kann in Notfällen jederzeit telefoniert werden. An der GBS gilt bereits seit 2004 eine Regelung für Handys, Spielekonsolen und andere tragbare elektronische Geräte, die auch in der Hausordnung verankert ist: Die Geräte müssen ausgeschaltet und im Ranzen verstaut sein. Bei Verstößen wird das Gerät eingezogen und muss von den Eltern abgeholt werden. Lehrkräfte können diese Regelung für unterrichtliche Zwecke aufheben und auch die Aufenthaltsräume der Oberstufe sind von diesem Verbot ausgenommen.
Von der Anschaffung eines Smartphones für Fünftklässler möchte ich Ihnen dringend abraten, insbesondere in Verbindung mit mobilem Internetzugang per Flatrate! Ich hatte als Fachberater für Jugendmedienschutz des Staatlichen Schulamts und des Hessischen Kultusministeriums im vergangenen Schuljahr alle Hände voll damit zu tun, digitale Schadensbegrenzung zu betreiben, insbesondere in Fällen von entgleisten Nacktfotos („Sexting“) und Onlinemobbing per WhatsApp und Facebook, pädophilen Übergriffen in Chats sowie jugendgefährdenden Inhalten wie Pornografie und Tötungsvideos. Aber auch Tierquälervideos oder Grusel-Kettenbriefe haben das Potential, Fünftklässler heftig zu verstören. Und seit Ende letzten Jahres melden sich immer mehr Kinder in Dating-Apps wie Lovoo an oder streamen live auf Younow.com, Plattformen, von denen die Mehrzahl der Eltern noch nie gehört hat.
Der Schwerpunkt dieser Fälle lag in Klasse 6-8, ich hatte aber auch einige Fälle im Grundschulbereich dabei, auf der ganzen oben aufgezählten Palette, z.B. wegen einer WhatsApp-Gruppe namens „4b ohne Paula“! Über eine starke Zunahme von Problemen durch Whatsapp-Gruppen in der Unterstufe beklagen alle Schulen, mit denen ich zu tun hatte.
Aus meiner Sicht gibt es für Besitz und Nutzung von Smartphones durch Kinder unter 14 Jahren keinen einzigen plausiblen oder gar zwingenden Grund, aber jede Menge Argumente dagegen. Ein ganz simpler Aspekt ist etwa, dass die Nutzung von WhatsApp ihrem Kind jede Menge wertvolle Zeit stiehlt, die zu Lasten wichtiger anderer Aktivitäten geht, insbesondere was Hausaufgaben und reale soziale Kontakte angeht. Was Zehnjährige in zwei Stunden per WhatsApp besprechen, lässt sich in fünf Minuten per Telefon klären!
Laut einer aktuellen Umfrage unter Siebtklässlern laufen übrigens in deren WhatsApp-Klassengruppen an Wochentagen zwischen 22 und 7 Uhr morgens durchschnittlich ca. 500 Nachrichten auf! Schlafmangel dank der täglichen virtuellen Übernachtungsparty ist garantiert, wenn Kinder ihre Smartphones nachts mit ins Kinderzimmer nehmen dürfen.
Nach meinen Erfahrungen aus den vergangenen Jahren an zahlreichen Schulen in ganz Hessen, ist erst ab der 8. Klasse immerhin eine Mehrheit der Kinder in der Lage, mit einem Smartphone einigermaßen souverän, verantwortungsbewusst und überlegt umzugehen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ihnen jemand die elementaren Nutzungsregeln beibringt, was leider eher die Ausnahme als die Regel ist. Und selbst wenn Sie Ihrem eigenen Kind den reflektierten Umgang mit diesen Geräten vermitteln können, kann niemand dieses Kind vor Inhalten schützen, die es von Freunden und Mitschülern zugeschickt bekommt. Mit einem internetfähigen Smartphone geben Sie Ihrem Kind Vollzugriff auf die komplette Erwachsenenwelt, mit all ihren unbestrittenen Vorzügen, aber auch mit jeglichen negativen Auswüchsen, vor denen Sie es im realen Leben aus gutem Grund schützen. Das Internet ist ein kompletter Spiegel des realen Lebens, und das gilt auch für vermeintlich harmlose Websites wie Google, Youtube oder Facebook. Mit zwei bis drei Klicks sind Sie hier z.B. bei Hardcore-Pornografie oder Tötungsvideos. Geben Sie nur einmal in der Google Bildersuche das Wort eklig ein. Die Frage ist daher nicht, in welchem Alter Sie ihrem Kind diese Möglichkeiten erlauben wollen, sondern vielmehr, wann sie ihm das zumuten möchten!
Auf den Smartphones mancher Unterstufenschüler kursieren Inhalte, die ich hier gar nicht als Beispiele posten dürfte, weil ich mich damit nach dem Jugendschutzgesetz strafbar machen würde. Auch wenn ihr eigenes Kind solche Inhalte abstoßend findet und niemals im Internet danach suchen würde – es genügt ein einziger problematischer Kontakt über WhatsApp, z.B. in der Klassengruppe, um Einschläge in der Seele Ihres Kindes zu erzeugen, die es nur sehr schwer verarbeiten kann, und die es Ihnen aus Scham mit hoher Wahrscheinlichkeit vorenthalten wird. Erst Mitte Juni hatte ich mit einem Fall an einem Frankfurter Gymnasium zu tun, an dem in der Jahrgangsstufe 6 ein Enthauptungsvideo der Terrorgruppe IS per WhatsApp verbreitet wurde. Es dauerte Wochen, bis diese Information zu den ersten Eltern durchdrang!
Ein Smartphone mit Internetzugang ist ein Werkzeug, mit dem man sich selbst und anderen heftige psychische Verletzungen zufügen kann, und für dessen kompetente Nutzung, wie bei jedem anderen Werkzeug, ein gewisser Reifegrad erforderlich ist, über den Kinder unter 12 Jahren aus entwicklungspsychologischer Sicht noch gar nicht verfügen können. Professor Dieter Braus, Leiter der Psychiatrie in den HSK, bezeichnet diese Werkzeuge bei seinen Vorträgen gar als Waffen, er berichtet von Patienten, die mit „Smartphoneverletzungen“ in seiner Praxis behandelt werden müssen.
Die AGB von WhatsApp erlauben dessen Nutzung erst ab 16 Jahren (!), Facebook ist erst ab 13 erlaubt und auch für auf den ersten Blick harmlose Spiele wie Clash of Clans gilt diese Altersgrenze – wussten Sie z.B., dass es in Clash of Clans hunderte von Clans mit Titeln wie „Deutsches Reich“, „Hitlerjugendcamp“, oder „Al Kaida“ gibt? Mal abgesehen von dem offensichtlichen Interesse solcher Spiele am Taschengeld ihrer Kinder, die mit dem Kauf von virtuellen Juwelen für echtes Geld Bauzeiten verkürzen und ihre Kampfstärke erhöhen können. Die Zahlungsmittel dafür gibt es in jedem Supermarkt in Form von iTunes- oder Google-Play-Guthabenkarten.
Wir werden Sie noch vor den Herbstferien zu einem Medienelternabend einladen, an dem ich Ihnen kurz unser schulisches Medienkonzept vorstellen und anschließend ausführlich aufzeigen werde, warum das Internet kein Kinderspielplatz ist, und möchte Sie bitten, Ihre Entscheidung über den Kauf eines Smartphones zumindest bis zu diesem Elternabend zu vertagen. In jedem Fall möchte ich Sie bitten den „Handynutzungsvertrag für Kinder“ (auch im Anhang) anzusehen, bevor Sie Ihrem Nachwuchs das Tor zur Erwachsenenwelt aufstoßen, darin finden Sie die aus meiner Sicht wichtigsten Smartphoneregeln, die man mit seinem Kind ausführlich besprochen haben sollte, um es für die problematischen Aspekte der Handynutzung zu sensibilisieren. Ein Smartphone erfordert zwingend einen smarten Benutzer!
Meine Handyempfehlungen:
- Handy nicht vor Klasse 5, Smartphone erst mit ca. 14 Jahren, mobiler Internetzugang (Flatrate) ab 16 Jahren.
- Schließen Sie für das Handy des Kindes keinen Vertrag ab, sondern kaufen Sie eine Prepaidkarte, das begrenzt u.a. auch Abzocke mit Abofallen und Premiumnummern sowie Missbrauch, falls das Handy verloren geht oder gestohlen wird.
- Lassen Sie vom Provider eine Drittanbietersperre einrichten. Das kostet nichts und schützt vor diversen Abzockmaschen. Bei der Telekom und bei Vodafone können Sie auch alle Premiumnummern sperren lassen.
- Erhöhen Sie das Taschengeld um ein paar Euro und lassen Sie Ihr Kind die Kosten für die Prepaidkarte selbst tragen, dadurch lernt es einen bewussten Umgang mit dem Handy.
Sollte Ihr Kind ihnen mit dem Argument „alle anderen haben das“ Druck und ein schlechtes Gewissen machen, empfiehlt sich ein Blick in die KIM-Studie 2014 (www.mpfs.de), laut der knapp ein Drittel der 10-11jährigen in Deutschland über ein Smartphone mit WhatsApp verfügten. Selbst wenn sich diese Zahl über Weihnachten verdoppelt haben sollte, wäre das immer noch sehr weit weg von „alle“. Sorgen wegen Ausgrenzung oder gar Mobbing, falls Ihr Kind kein Smartphone besitzt, müssen Sie sich definitiv nicht machen – diese Phänomene hatten schon immer gänzlich andere Ursachen als Markenkleidung oder andere Statussymbole, und wir können unseren Kindern auch nicht mit einem schicken Smartphone 150 Gramm Selbstvertrauen in die Hand drücken, das funktioniert nicht.
Falls Ihr Kind bereits über ein Smartphone verfügt, empfehle ich Ihnen dringend, es mit einer Kinderschutz-App wie FragFinn (iOS und Android) oder Vodafone Child Protect (Android) kindersicher zu machen. Ebenso sollte Ihr Kind nicht die Möglichkeit haben, selbständig Apps auf seinem Handy installieren zu können, Sie als Eltern sollten allein das Passwort zum Google- oder iTunes-Konto Ihres Kindes kennen, damit Sie sich jede App, die das Kind installieren möchte, gemeinsam ansehen können.
Auf meiner Website www.medien-sicher.de finden Sie weitere Informationen zur Medienerziehung, unter anderem ein Quiz, mit dem Sie ihren persönlichen Wissensstand zu diesem Thema testen können:
http://www.medien-sicher.de/quiz-fit-fuer-medienerziehung
Auch für die Kinder gibt es dort ein dreiteiliges Quiz mit insgesamt 44 Fragen: http://www.medien-sicher.de/schuelerquiz-fit-fuers-internet
Für weitere Fragen rund um das Thema Medienerziehung stehe ich Ihnen immer gerne zur Verfügung.
Weitere Ausführungen zum Thema „Smartphones für Kinder?“ finden Sie unter
http://www.medien-sicher.de/2013/11/liebe-eltern-eine-offene-e-mail/
Über Rückmeldungen zu diesem Schreiben freue ich mich.
Bis zum Schulstart im September wünsche ich Ihnen und Ihren Kindern schöne Ferien und einen erholsamen Sommer!
Mit besten Grüßen
Günter Steppich
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Beauftragter für Medienerziehung und Jugendmedienschutz an der Gutenbergschule
Schulberatung im Projekt Jugendmedienschutz des HKM
Fachberater für Jugendmedienschutz am Staatlichen Schulamt für Wiesbaden und den Rheingau-Taunus-Kreis